Für Marathonläuferin Katharina Steinruck sind die European Championships 2022 das Highlight nach den Olympischen Spielen 2021 in Japan. Wenngleich eine Europameisterschaft im eigenen Land „mega“ ist, wie Steinruck in Teil eins des Interviews sagte, sorgt insbesondere die Startzeit der Disziplin für Kritik an der EAA (European Athletic Association). Warum Steinruck die Entscheidung für die EM – und gegen die WM – nicht leicht fiel,  welche Ziele die Athletin verfolgt und wie sie auf Olympia 2021 zurückblickt: Teil zwei des Interviews.

Was sprach auf der Kontraseite gegen die Europameisterschaften?

Ich habe es mir aus dem Grund nicht leicht gemacht, weil die WM höher angesehen wird als die EM – – rein sportlich. Allerdings haben wir zum einen bei den Europameisterschaften gleichzeitig den Europacup. Das heißt: Es ist auch ein Teamevent, in dem das deutsche Frauenteam eines der stärksten in Europa ist. Wir haben eine wirklich hohe Chance, eine Medaille zu holen. Das möchte sich natürlich keine von den Mädels entgehen lassen, weil es auch schon lange her ist, dass es eine Medaille gab. Wir hatten einfach nie ein Team am Start. Oder wir hatten drei Läuferinnen am Start und nur zwei kamen ins Ziel. Das war seit 2014 durchgängig so. Ich war zwar immer an der Startlinie und im Ziel, hatte aber nie eine Mannschaft. Da hoffe ich natürlich, dass es dieses Jahr anders ist, weil wir sechs Mädels sind.

Was natürlich gegen die EM – was mich betrifft – gesprochen hat, ist einfach die Startzeit. Ich bin nun einmal kein Hitzeläufer. Schaut man meine Ergebnisse oder besten Zeiten an: Wann bin ich die gelaufen und was war da für ein Wetter? Es war immer kalt. Ich bin nun einmal ein Läufer für das Frühjahr und den Herbst und ich mag rein sportlich den Sommer nicht. Zum Urlaub machen und herumhängen, ja. Aber ich bin kein Hitzemensch.

Nicht zuletzt gibt es für die EM auch eine Online-Petition gegen die Startzeiten. Die Frauen starten um 10.30 Uhr, die Männer um 11.30 Uhr. Was ist das Ziel?

Wir haben natürlich mit der Petition versucht, der EAA klarzumachen: ‚Leute, zieht doch die Startzeiten vor. Bei den Gehern macht ihr es doch auch.‘ Die starten um acht Uhr. Laut Prognose der letzten Jahre soll es 23 Grad haben. Und dazu sage ich: ‚Ja, Leute. Das haben sie in Japan auch gesagt. Und dann haben wir den heißesten Tag des Jahres in ganz Japan erwischt. Herzlichen Dank!‘ Aber wenigstens hat Japan dann noch reagiert und die Zeiten um eine Stunde vorverlegt. Auch unsere Ärzte und unsere Bundestrainer haben sich hinsichtlich der EM eingesetzt. Angeblich auch der Verband – ich weiß aber nicht in welcher Form. Dazu kann ich nichts sagen.

Katharina Steinruck über den Marathon bei der Leichtathletik-EM: “Es wird auf jeden Fall kein Rennen auf Zeit”

Denkst Du, da wird noch einmal umgedacht?

Ob jetzt am Ende etwas passiert, muss man sehen. Aber die Sache ist halt: Bei den Weltmeisterschaften war der Start um 6.10 Uhr in der Früh. Es war kühl, es wurde hinten raus warm. Und wir starten jetzt in der vollen Hitze. Die Prognose ändert sich ja ständig, aber es wird warm. Wir werden da jetzt keine 15 oder 16 Grad haben. Man muss ja die Temperaturen auch so lesen: Selbst wenn es nur 25 Grad hat, ist das eine Schattentemperatur und wir laufen auf Asphalt. Das heizt sich auf. In der Stadt ist es eh immer wärmer als außerhalb. Das sind locker zehn Grad mehr, wenn das reicht. Mit direkter Sonneneinstrahlung wird das ein Kessel.

Es ist auch eine Frage der Relation: Was für einen Nutzen habe ich am Ende davon? Ich stelle mich natürlich nicht an die Startlinie, um zu sagen: ‚Joa, ich bin ins Ziel gekommen. Happy, ich bin 19. und habe vielleicht noch eine 2.33er-Zeit. Juhu.‘ (Anm.d.Red.: 2 Stunden, 33 Minuten) Das ist halt auch nicht mein Anspruch. Auch letztes Jahr bei den Olympischen Spielen ging es nur noch darum, irgendwie in das Ziel zu kommen. Ich war sehr, sehr gut vorbereitet, hatte eigentlich ein Niveau von einer 2.26 (Anm.d.Red.: 2 Stunden, 26 Minuten). Und das ist halt dann ärgerlich.

Wie sieht es dieses Jahr aus?

Mein Niveau ist momentan wieder ähnlich. Aber das werde ich nicht schaffen, das weiß ich jetzt schon. Darauf muss ich mich einstellen. Eine 2.26 werde ich nicht laufen. Definitiv wegen der Witterungsbedingungen. Am Ende hat man sich halt doch für die EM in der Hoffnung entschieden, dass das Team am Start ist. Dass drei ins Ziel kommen und wir geschlossen so stark auftreten, sodass eine Medaille machbar ist. Am Ende entscheiden die da oben über die Startzeiten. Und am Ende entscheidet das Geld, also die Einschaltquoten und die Zuschauer. Wie auch sonst immer.

Mit was für einer Platzierung, mit was für einem Endergebnis rechnest Du für Dich persönlich?

Es ist super schwierig zu sagen. Wenn es normale Bedingungen wären in München, würde ich sagen: ‚Ich versuche die Bestzeit anzugreifen und ich möchte eine Einzelmedaille holen.‘ Das ist eigentlich mein Anspruch. Und auch mit dem Team auf jeden Fall eine Medaille. Dadurch, dass wir jetzt natürlich gar nicht wissen, was uns erwartet, ist es super schwierig. Wird die Startzeit noch geändert – oder nicht? Wird es heiß – wird es nicht heiß? Wer kommt am Ende ins Ziel – wer nicht?

Es wird auf jeden Fall kein Rennen auf Zeit. Es wird wahrscheinlich erst einmal von den meisten Läuferinnen sehr defensiv angegangen. Und dann wird taktiert und geschaut, wer durchkommt. Ich liebäugel nach wie vor mit einer vorderen Platzierung. Also eine Top-Ten-Platzierung wäre super. Da würde ich mich freuen. Jede Zeit unter 2h30min – mega. Und ja, es hängt einfach von den Bedingungen ab. Ich bin wirklich sehr gut drauf. Ich habe ein mega Training hinter mir. Ich habe auf jeden Fall ein hohes Niveau. Ich weiß aber nicht, ob ich es an dem Tag zeigen kann.

Ist es möglich, das Training an diese Extrembedingungen anzupassen, um den Körper darauf vorzubereiten?

Ich habe im Vorfeld eine Hitzeanpassung gemacht – also auch lange Läufe bei fast 30 Grad. Ich habe auch das Gefühl, dass es besser wird, dass es mir auf jeden Fall etwas bringt. Aber um wirklich, wirklich mit der Hitze klarzukommen, müsste ich in so einem Land leben – und das über Jahre.

Bei der Hitzeanpassung muss man außerdem bedenken: Wir können nicht jedes Training in der Hitze machen, weil dann fährst du deinen Körper eher in den Keller als dass du trainingsmäßig etwas aufbaust. Das heißt, es war so eine Gradwanderung zwischen: Welche Einheit mache ich wirklich in der Kühle, damit diese Einheit auch qualitativ ist. Und welche Einheit mache ich eben draußen, um anschließend zu sagen, so danach kühle ich den Körper richtig runter, aber er hat schon einmal gemerkt: ‚Oh, es wird warm‘.

Du wirst in München während dem Marathon auch an verschiedenen Sehenswürdigkeiten vorbeikommen. Die Strecke führt beispielsweise am Friedensengel oder der Eisbachwelle im Englischen Garten vorbei. Wie viel bekommt man als Athlet während so einem Rennen tatsächlich mit?

Also wir laufen ja Gott sei Dank vier Runden. Das heißt, wenn ich irgendwas verpasst habe, kann ich mir das in der zweiten Runde anschauen (lacht). Es ist tatsächlich unterschiedlich. Es kommt darauf an, wo man im Rennen ist. In Berlin 2016 habe ich mir die Stadt angeguckt. Da war es so, dass ich gesagt habe: ‚Katha, versuch es zu genießen und guck dir die Stadt an.“ Ich habe super viel von der Stadt aufgenommen und super viel vom Streckenrand mitbekommen. Bei manchen Wettkämpfen könnte ich dir hingegen gar nichts mehr erzählen. Ich denke, ich werde schon ein bisschen rundherum schauen. Aber wahrscheinlich werden wir auch sehr damit beschäftigt sein, unsere ganzen Wasser- und Eispacks zu verarbeiten.

Marathonläuferin Katharina Steinruck über die Olympischen Spiele 2021

Dein Blick wird nach den European Championships vermutlich Richtung Olympia 2024 in Paris schweifen. Blicken wir zurück auf Olympia 2021 in Tokio, das aufgrund der Coronavirus-Pandemie unter einem deutlichen anderen Stern stand als vorangegangene Olympische Spiele. Wie war Dein Eindruck?

Wir waren in Sapporo. Tokio haben wir gar nicht gesehen – außer am Flughafen. Zuvor waren wir in einem Pre-Camp. Das war sehr schön und die Menschen vor Ort haben den Aufenthalt für mich unvergesslich gemacht. Natürlich war man eingeschränkt. Wenn man raus ist, musste eine Begleitung mit. Wir hatten nur eine abgestreckte Straße, wo wir trainieren durften. Wir durften keiner Menschenseele begegnen, wir haben jeden morgen einen PCR-Test gemacht. Also es war schon sehr, sehr kontrolliert alles und sehr nach Plan. Wir durften nicht raus – außer zum Training. Aber das war nicht schlimm, weil es draußen super heiß war. Dann sind wir nach Sapporo gereist. Dort waren wir dann in einem Hotel mit allen Nationen. Da war ich eher enttäuscht, muss ich ehrlich sagen.

Aus welchem Grund?

Das Team-Hotel war sehr schön, hat mich aber an irgendein großes Marathon-Event – erinnert, bei dem die Leute einfach nicht in ihrer Sponsorenkleidung herumlaufen, sondern in der Nationalkleidung. Es waren nirgendwo die Ringe. Es gab nichts, sodass man einmal gedacht hat: ‚Hey, hier sind Olympische Spiele!‘. Es gab Ringe in der Stadt, aber das war ziemlich weit vom Team-Hotel entfernt und offiziell kam niemand von uns dort hin. Und wir konnten ja auch nicht zur Abschlussfeier. Wir konnten nirgendwo mitmachen.

Das Feeling von Olympia konnte also gar nicht so richtig aufkommen…

Richtig. Wir haben versucht den Busfahrer und unseren Ansprechpartner, zu überreden, uns wenigstens an den Olympischen Ringen Fotos machen zu lassen, als wir abgereist sind. Das hat er uns dann ermöglicht. Dann konnte man auch sagen: ‚Wir waren wirklich bei Olympia!‘

Die Leute waren aber alle super nett. Wir hatten auch Zuschauer an der Strecke, obwohl es erst hieß, das soll es nicht geben. Die Leute haben sich das aber nicht nehmen lassen. Es war deutlich weniger als das, was ich von Japan gewohnt bin. Japan hat eigentlich gefühlt an der Marathonstrecke fünf Reihen, die hintereinanderstehen und anfeuern. Aber wie gesagt, es hätte jede andere Meisterschaft sein können. Dass es Olympia war, das haben wir nicht wirklich gefühlt.

Ist das dann auch das, worauf Du 2024 hoffst? Olympia wirklich zu fühlen, sodass es greifbar ist?

„Das hoffe ich. Dass es in Paris anders ist. Dass man merkt, es ist nicht nur ein Wettkampf, wie eine Meisterschaft, sondern: ‚Hey, das ist Olympia!‘“

Interview: Michelle Brey

Foto: Katrin Dörre-Heinig

Teil eins des Interviews verpasst? Hier entlang.