Er ist einer, der sich in der Leichtathletik national wie international definitiv einen Namen gemacht hat: Sven Knipphals. Seine Erfolge sprechen für sich alleine: Staffel–WM-Bronze (2015) über 4×200 Meter, Vize-Europameister mit der deutschen Staffel (2014) über 4 x 100 Meter und Bronze-Medaillen-Gewinner über 4x100m (2016). Er ist zweimaliger WM-Viertplatzierter mit der 4 x 100m Staffel (2013, 2015) sowie zweifacher Olympionike 2012 und 2016. Im Jahr 2018 hing der heute 34-Jährige seine aktive Karriere an den Nagel. Der Leichtathletik blieb er dennoch treu. Im exklusiven Interview mit Sven Knipphals blickten wir gemeinsam zurück auf seine beeindruckende Karriere.
Der Weg in den Leistungssport für Sven Knipphals war – man könnte sagen – in den Sternen vorgezeichnet. „Ich komme aus einer sehr sportlichen Familie“, sagt er. Vater Jens Knipphals zählte in den 1980er Jahren zu Deutschlands erfolgreichsten Weitspringern (Bestleistung: 8,14 Meter). Großvater Hans-Jürgen Knipphals trug in den 1950er-Jahren zu großen sportlichen Erfolgen der Handballmannschaft des VfL Wolfsburg bei. „Meine Uroma hat den VfL Wolfsburg mitgegründet“, erzählt Sven Knipphals.
Kein großes Wunder also, dass auch ihn der Sport reizte. Mit neun Jahren begann Knipphals mit der Leichtathletik, wechselte dann jedoch zum Fußball. Lange hielt es ihn dort nicht: „Ich war immer der Schnellste, wurde oft gefoult und verletzte mich.“ Mit 16 Jahren ging es für ihn schließlich zurück zur Leichtathletik – und zum VfL Wolfsburg, dem er bis zu seinem Karriereende treu bleiben sollte. „Mein Vater hat damals seinen ehemaligen Trainer Werner Morawietz angerufen. So kam ich erst zum Weitsprung und später bin ich an der Disziplin Sprint hängen geblieben.“
Sven Knipphals: Gratwanderung zwischen Studium und Leistungssport
Mit 22 Jahren zog es Sven Knipphals schließlich nach Bournemouth in England. Grund dafür war seine zweite große Leidenschaft: die Chiropraktik – eine ganzheitliche Behandlungsweise, die den Körper als eine Einheit betrachtet. Seinen Studiengang am Anglo-European-College of Chiropractic (AECC) schloss er 2013 mit seinem Master of Chiropractic ab.
„Für mich war die Kombination aus Leichtathletik und Studium sehr gut“, blickt Sven Knipphals zurück und fährt fort, „Ich bin niemand, der sich stundenlang in eine Bibliothek setzt und lernt. Ich habe 30 Minuten intensiv gelernt, bin dann trainieren gegangen und habe während des Trainings das Gelernte abgespeichert.“
Eine Belastung sei die Doppelaufgabe nie gewesen, sagt er. Dennoch habe es auch immer einmal wieder Zeiten gegeben, in denen es im Studium nicht so gut lief. „Dann habe ich zu mir gesagt: „Hey, du machst ja auch Leistungssport.“ Gänzlich spurlos sind die sechs Jahre Studium in England und die Gratwanderung zwischen Universität und Leistungssport jedoch nicht an ihm vorbeigegangen: „Nach den Olympischen Spielen 2012 hatte ich einen Hörsturz, was eine absolute Stressreaktion war.“
Harte Arbeit und Durchhaltevermögen zahlen sich für Sven Knipphals aus
Zurück in Deutschland arbeitete Sven Knipphals bis zu seinem Karriereende 2018 acht Stunden wöchentlich als Chiropraktor in einer Praxis in Leipzig, kam gleichzeitig in seiner Top-Zeit als Athlet „auf bis zu zehn Trainingseinheiten in der Woche.“ Und sein Trainingspensum, die hineingesteckte Energie und seine Ausdauer zahlten sich aus.
2013 wurde er deutscher Vizemeister über 200 Meter und belegte den dritten Platz über 100 Meter. Zwei Jahre später (2015) erhielten er und sein Team die Bronze-Medaille bei der Staffel-WM, mit der 4 x 200m-Sprintstaffel stellte er einen deutschen Rekord auf. Ein Jahr zuvor krönte Sven Knipphals seine Leistungen mit dem Titel Vize-Europameister mit der 4 x 100m-Staffel um Julian Reus, Alexander Kosenkow und Lucas Jakubczyk. 2015 lief er dann seine persönliche Bestzeit über 100 Meter und belegt damit seither den neunten Platz der ewigen Bestenliste: 10,13 Sekunden.
Als Olympia auf der Kippe stand: „Wenn du jetzt nicht 10,25 Sekunden läufst, …“
Mit dem Druck, den der Leistungssport nun einmal so mit sich bringt, habe er immer gut umgehen können, sagt Sven Knipphals. Es geht um Hundertstelsekunden, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden und monatelanges Training auszahlen oder eben nicht. Momente, die darüber entscheiden, ob man Deutschland bei den Olympischen Spielen, der Welt- oder Europameisterschaft vertreten darf oder nicht. Einen solchen Moment erlebte Knipphals in der Saison 2016.
Lange Zeit hatte er damals mit Achillessehnenproblemen zu kämpfen. „Ein knappes halbes Jahr fast ohne Training, da wird man natürlich nervös“, erinnert er sich. In einem Wettkampf in Mannheim ging es darum, wer bei Olympia die Staffel laufen würde. „Mein Selbstverständnis war: Die Form stimmt grundsätzlich und für Olympia sah ich mich gesetzt. Dann kam dieser eine Lauf, in dem Julian Reus mit 10,01 Sekunden deutschen Rekord und auch mein Nebenmann Platini Menga persönliche Bestzeit lief. Ich hingegen lief 10,45 Sekunden.“
Also „Müll“, wie Sven Knipphals die Leistung rückblickend selbst bewertet. Im Anschluss an den Lauf kam dann der Bundestrainer auf ihn zu und stellte ihm ein Ultimatum: „Wenn du jetzt nicht 10,25 Sekunden läufst, bist du für Olympia raus.“ Für Knipphals bedeutet das: Saisonbestleistung laufen oder die Olympischen Spiele direkt abhaken. „Die dreiviertel Stunde zwischen der Ansage des Bundestrainers und dem Lauf war eine heftige Erfahrung“, erinnert sich Sven Knipphals, der schließlich tatsächlich 10,24 Sekunden lief und somit um eine Haareslänge die Erwartung des Bundestrainers erfüllte. „Von dem Lauf an sich, weiß ich nicht mehr viel“, gibt er lachend zu. „Ich habe bei 60 Metern die Augen geschlossen, sie bei 80 Metern geöffnet und gedacht: „Oh, ich muss ja noch 20 Meter laufen“. Eigentlich genauso, wie man es nicht machen sollte. Doch in diesem einen Fall hat es funktioniert“, sagt Knipphals.
Sven Knipphals bleibt der Leichtathletik auch nach seinem Karriereende treu
Als sich Sven Knipphals 2018 dazu entschloss, seine aktive Karriere zu beenden, konnte und wollte er der Leichtathletik, dem Leistungssport, dem Wettkampf dennoch nicht ganz den Rücken zuwenden. Sein Studium und seine Praxiserfahrung als Chiropraktor machten sich bezahlt: seit 2018 gehört er fest zum medizinischen Team des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) und leitet mittlerweile sogar eine Gruppe von neun Chiropraktoren für den Verband.
Und wer könnte angehenden Leichtathleten und Profis besser helfen, sie unterstützen und sicher auch den ein oder anderen Rat geben, als jemand, der die Leichtathletik-Branche in und auswendig kennt? „Du trainierst nicht für deinen Trainer, deine Eltern oder deine Gegner. Du trainierst, weil du etwas erreichen willst. Du musst das schon für dich machen, das ist das Entscheidende“, weiß Sven Knipphals. Darüber hinaus hat er unlängst sein erstes Buch „Mach dich schneller“ veröffentlicht, das jedem Sportler ein herausragender Ratgeber in Sachen Geschwindigkeit und Top-Speed sein kann.
Text: Michelle Brey