Heute ist Ex-Fußballprofi Sebastian Kneißl Trainer beim SV Heimstetten (zur neuen Saison SC Baldham-Vaterstetten) sowie Co-Kommentator und Experte bei DAZN. Welches Angebot er wohl als junger 17-Jähriger annahm, um in die Welt des Profifußballs einzutauchen? Im Interview sprachen wir über “Self-Leadership”, Mentaltraining im Fußball, seine zukünftigen Pläne als Trainer und seine Zeit als Fußballprofi. Teil 2 meines Artikels über Sebastian Kneissl.
Die Zeit nun einmal um knappe 20 Jahre zurückgedreht, blicken wir auf einen 17-jährigen Sebastian Kneißl, der in der Jugend von Eintracht Frankfurt für gehörig Wirbel sorgte und das Interesse vieler großer Fußballclubs auf sich zog. Darunter Lazio Rom, der FC Barcelona, Ajax Amsterdam und der FC Chelsea London. Er entschied sich, wechselt von der Eintracht in die U19 des FC Chelsea London.
Wechsel zum FC Chelsea London: „Es war natürlich ein riesiger Unterschied…“
Doch in der Folge wurde es ihm nicht selten zum Vorwurf gemacht in seiner Entscheidungsfindung nur das Geld vor Augen gehabt zu haben. „Lazio hat damals gesagt: ‚Ist uns egal, was die anderen vier Vereine bieten, wir bieten blind das Dreifache.‘ Wäre ich also tatsächlich nach dem Geld gegangen, wäre ich in Rom gelandet“, stellt Sebastian Kneißl richtig. Schwer sei ihm der Wechsel damals nicht gefallen. Das Gefühl den Schritt zu gehen, sei einfach da gewesen.
„Du musst in so einem Moment auch einmal den Mut haben zu sagen ‚Hey, das ist eine spannende Geschichte, eine tolle Chance.‘“ Dennoch sei ihm natürlich auch bewusst gewesen, dass es eine große Herausforderung werden würde. Gianluca Vialli, Trainer der Profimannschaft, erst war es, der Sebastian Kneißl den Schritt an die Stamford Bridge in London ermöglichte. „Es war natürlich ein riesiger Unterschied hinsichtlich der Trainingsintensität, aber es hat so einen Spaß gemacht, dass du das fast nicht gemerkt hast“, erinnert sich Kneißl.
Sebastian Kneißl über Ex-Chelsea-Profi und seinen „zugewiesenen Mann“ Marcel Desailly
Im ersten Jahr lebte Sebastian Kneißl in einer Gastfamilie in einer Londoner Durchschnittsgegend. Zwei Kilometer lief er zum Training, zwei Kilometer zurück. Bis zu dem Tag, an dem ihn Marcel Desailly am Straßenrand entlang gehen sah und ihn kurzerhand in seinem silbernen Ferrari nach Hause brachte. Taxiservice á la Desailly. „Da haben sie erstmal alle geschaut, als ich vorgefahren wurde“, blickt Kneißl grinsend zurück.
Und Marcel Desaillys Schuhe waren es auch, die er nach jedem Training putzen musste. Damals, so erzählt er, sei es noch üblich gewesen, dass die U19-Spieler – auch diejenigen mit Profivertrag, zu denen er gehörte – den gestandenen Profis die Schuhe putzten. „Desailly war damals mein zugewiesener Mann. Zugegeben, es war schon eine komische Situation“, erinnert sich Kneißl lachend, fügt jedoch hinzu, „aber richtig gut, denn dadurch bist du natürlich auch in Kontakt gekommen. Und Desailly hat mir immer wieder das ein oder andere mitgegeben, was ich besser machen konnte.“
Sebastian Kneißl: „Würde ich es heute genauso machen? – Ja, aber…“
Neben Desailly stand Kneißl bei Chelsea unter anderem mit Gianfranco Zola, John Terry, Frank Lampard und Arjen Robben – um nur einen Bruchteil der damaligen Spieler zu nennen – auf dem Platz. Doch müsste er sich heute noch einmal entscheiden, würde es ihn vielleicht gar nicht zum FC Chelsea ziehen. „Würde ich es noch einmal genauso machen? – Ja, aber eine Sache würde ich ändern. Ich würde mir alle Vereine anschauen. Ich habe mir damals nur Chelsea angeschaut und war so ‚geflasht‘ von dem Ganzen dort, dass ich zugesagt habe“, erzählt Kneißl und fährt fort, „Einfach zwei oder drei Tage bei jedem Verein investieren.“
Dennoch sei er heute froh, all das genauso gemacht zu haben, wie er es gemacht hat. Dabei sprang unter anderem der Titel Vize-Europameister mit der deutschen U19-Nationalmannschaft heraus. 2004 wurde Sebastian Kneißl dann an den FC Dundee in die erste schottische Fußballliga verliehen, 2005 an den damaligen belgischen Erstligisten KVC Westerlo. Kurz darauf wechselte Kneißl nach Deutschland zum SV Wacker Burghausen in die zweite Bundesliga.
Sebastian Kneißl über „Self-Leadership“ und Mentaltraining: „Wenn der Kopf ‚Nein‘ sagt, streikt der Körper“
Ein Spieler, dessen Namen auch heute noch jedes Kind kennt, brachte Kneißl schon während seiner Zeit bei Chelsea auf ein Thema, das heute seinen Arbeitsalltag mitbestimmt. „Mein Thema als Trainer ist „Self-Leadership“ – also wie führst du dich selbst. Und „Self-Leadership“ ist für mich sinnbildlich Frank Lampard. Er hat das in Perfektion gemacht. Er wurde einfach nur durch seine Selbstführung zum Leader im Team.“ Dabei sei für Sebastian Kneißl „Self-Leadership“ nicht gleichzusetzen mit „Mentaltraining“, mit dem er sich ebenfalls intensiv beschäftigte. „Ich habe die Ausbildung zum Sportmentaltrainer gemacht, um meine eigene Karriere zu analysieren und habe gemerkt: Ich hätte gern einen „Mentaltrainer“ gehabt – einfach nur einen neutralen Ansprechpartner.“
Unverzichtbar sei „Mentaltraining“ im Fußball – und dennoch nicht das Non-Plus-Utra, sondern nur ein einzelner Baustein eines großen Ganzen als Trainer. „Wenn der Kopf ‚Nein‘ sagt, streikt der Körper“, sagt Sebastian Kneißl und kann dabei auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. „Wir spielten damals auswärts gegen die Glasgow Rangers vor knapp 50.000 Zuschauern. Der Schiedsrichter pfiff, damit die Mannschaften sich im Tunnel zum Einlaufen ins Stadion einfinden. Und ich hörte diesen Pfiff und konnte mich für 30 Sekunden nicht mehr bewegen. Wenn du so nervös bist, hast du keine Chance.“ Mit 4:0 ging sein Team am Ende unter, Kneißl spielte dennoch 66. Minuten.
In Deutschland würden heutzutage viele Profis Mentaltraining integrieren, weiß Kneißl. In der Öffentlichkeit wird das oft gar nicht wahrgenommen, denn immer noch „ist es ein Tabu-Thema“. Und für Sebastian Kneißl? – „In meinen Coachings geht es nicht nur um Mentaltraining. Ich arbeite an einem viel größeren Bild. An der Selbstführung – dem „Self-Leadership“. Und das ist ja auch noch einmal etwas vollkommen anderes. „Führung“ ist dazu noch ein charmanteres Wort“, sagt er. „Das Ziel ist es eine Führungspersönlichkeit zu werden.“ Und hört man Kneißl so zu, wenn er über Themen wie diese spricht, merkt man sofort, dass er dafür brennt.
Du hast Teil 1 des Artikels über Sebastian Kneißl verpasst? Kein Problem, hier geht’s lang.
Text: Michelle Brey