Sie war Studentin an der TU München und gehörte schon damals zu Deutschlands Spitzenathleten im 800-Meter-Lauf: Christina Hering von der LG Stadtwerke München. Die 13-malige Deutsche Meisterin schied zuletzt bei der Leichtathletik-WM in Eugene  (USA) im Halbfinale aus, präsentierte sich kurz darauf in der Diamond League in Top-Form und kratzte sogar an ihrer persönlichen Bestleistung. In München, ihrer Heimatstadt, will sie bei den European Championships 2022 um Edelmetall kämpfen.

Christina, Du hast von 2013 bis 2017 den Bachelor in Wissenschaftlichen Grundlagen des Sports gemacht (heute Sportwissenschaft). 2020 hast Du dann den Master in Management an der TU abgeschlossen. Wie herausfordernd war es für Dich, die Uni und den Leistungssport unter einen Hut zu bekommen?

Tatsächlich war es schon manchmal eine ganz schöne Herausforderung – insbesondere mental den Fokus irgendwie zu bewahren. Oft sind die Prüfungsphasen mit den Deutschen Meisterschaften zusammengefallen und dann war es eher schwierig sich auf das Lernen und die Prüfungen zu konzentrieren.

Dennoch hast Du alles erfolgreich gemeistert.

Ja, weil es mir auch immer Spaß gemacht hat. Es hat ein gutes Zeitmanagement erfordert und eine gewisse Motivation, eben auch im Studium weiterzukommen. Natürlich, es waren viele Fächer. Manche waren verpflichtend, andere nicht. Aber man hat, glaube ich, immer welche, die einem nicht so viel Spaß machen. Grundlegend fand ich es aber besonders im Bachelor cool, dass die meisten Fächer einen Fokus auf den Sport hatten. Und im Management habe ich die Kurse gewählt, an denen ich eh Interesse hatte.

War es im Nachhinein die richtige Entscheidung für Dich nebenbei zu studieren?

Doch, definitiv. Es gibt mir jetzt einfach schon eine Sicherheit, dass ich mit einem Masterabschluss davon ausgehen kann, zumindest einmal die Grundvoraussetzungen zu erfüllen für die meisten Jobs, für die ich mich bewerben würde. Zudem fand ich es auch total schön aus dieser ‚Sport-Blase‘ so ein bisschen herauszukommen und einfach in das normale Leben einzutauchen. Auch einmal mit Leuten Kontakt zu haben, die nicht im Leistungssport sind, und das Studentenleben mitzubekommen.

Den neuen TUM Campus im Olympiapark gab es noch nicht, als Du den Bachelorstudiengang absolviert hast. Konntest Du dennoch schon einen Blick hineinwerfen?

Lustigerweise war ich vor knapp einem Monat dort. Ich habe mit Prof. Dr. Lames Messungen gemacht. Das wurde vom ZDF begleitet und wir haben auch vor Ort dann noch ein bisschen gedreht. Der Campus ist super modern und sieht geil aus.

European Championships: 800-Meter-Läuferin Christina Hering über die Bedeutung der EM 

Der Campus ist es auch nicht weit entfernt vom Olympiastadion, in dem Du in Deiner Disziplin bei den European Championships an den Start gehen wirst. Der 800-Meter-Vorlauf findet am 18. August statt. Wie sieht Deine Vorbereitung in den letzten Tagen vor dem Wettkampf aus?

Ich bin am Sonntag von meinem allerletzten Wettkampf zurückgekommen und jetzt die restlichen Tage final hier in München. Ich bin noch eine Woche zu Hause und dann ab Montag im Team-Hotel. Ich glaube, es wäre dann doch irgendwie ganz komisch, wenn man jeden Tag mit dem Fahrrad dorthin fahren würde. Ich glaube, so ein bisschen brauche ich noch das ganze Setting und auch, dass man sich um nichts mehr kümmern muss, sondern dort alles nutzen kann, was man benötigt. Die letzten Tage steht auf jeden Fall auch nochmal Training an. Ich freue mich natürlich sehr.

Für Dich ist es quasi nicht nur eine Heim-EM, sondern durch München als Heimatstadt ein echtes Heimspiel. Ist das Event dadurch noch einmal bedeutender für Dich?

Ja, emotional natürlich total. Ich bin tatsächlich noch nie im Olympiastadion gelaufen, aber habe die letzten zehn Jahre täglich dort daneben auf dem Platz trainiert. Ich hatte immer diesen tollen Blick von dort auf das Stadion – und jetzt wird das der Aufwärmplatz sein. Es ist irgendwie schon eine sau coole Vorstellung, dass man sich auf dem Platz, auf dem man schon so viele Einheiten absolviert hat, für so einen wichtigen Wettkampf aufwärmt. Es wird schon auch ein großer Druck da sein, den ich mir mache. Aber ich merke gleichzeitig, dass es mir wichtig ist, dass alles funktioniert. Irgendwie habe ich auch so ein bisschen das Gefühl, ich stehe so ein ganz kleines bisschen auf der Organisatorenseite.

Weil Du in der „Class of 22“ der European Championships bist?

Genau, ich war die letzten zwei Jahre viel miteingebunden und wurde da auch begleitet. Das war total schön zu sehen, wie so etwas entsteht. Und jetzt bin ich natürlich genauso gespannt wie die Organisatoren, wie es dann wird, wenn es real ist.

Christina Hering hat “WM wirklich erst einmal abgehackt” – voller Fokus auf die EM 

Was geht einem durch den Kopf, bevor man in so einen wichtigen Wettkampf hineingeht?

Natürlich habe ich jetzt schon relativ viel Erfahrung. Ich war schon bei vielen großen Events dabei. Trotzdem ist es immer etwas ganz besonderes. Ich bin auf jeden Fall schon jemand, der da sehr aufgeregt ist. Besonders, wenn dann konkret die Läufe raus sind, was meistens so 24 Stunden vorher passiert. Man weiß dann, wie das Rennen aussehen wird. Man legt sich natürlich seinen Plan zurecht und dann spult man aber doch irgendwie seine Routine ab, wie man den Tag vorher und den Tag des Wettkampfs gestaltet.

Du warst erst kürzlich bei einem großen Event: die WM in Eugene (USA). Dort bist Du im Halbfinale ausgeschieden. Was hast Du für Dich persönlich daraus mitnehmen können?

Die WM war wirklich auch ein tolles Erlebnis. Nach meinem Halbfinale war ich tatsächlich etwas verwirrt, weil ich nicht damit gerechnet hatte, am Ende nicht mehr mithalten zu können. Aber natürlich ist es auch die Weltspitze, gegen die man dort läuft und dann fällt man eben auch einmal ab. Gott sei Dank konnte ich am Wochenende nochmal ein echt cooles Rennen laufen (Anm.d.Red. Diamond League). Das hat mir Selbstvertrauen gegeben, dass die Leistung bei der WM auf jeden Fall nicht am Training lag. Deshalb schaue ich heute schon ganz anders darauf zurück, als ich es vielleicht noch letzte Woche gemacht hätte. Aber jetzt ist die WM auch wirklich erst einmal abgehackt und der Fokus liegt voll auf der EM.

Inwiefern hatte Corona noch Auswirkungen auf Deine Vorbereitung für die Wettkämpfe?

Tatsächlich, würde ich sagen, hat man als Leistungssportler schon einen großen Respekt vor dieser Erkrankung. Man weiß natürlich – besonders auch bei meiner Disziplin, die sehr ausdauerbetont ist -, dass es passieren kann, erst einmal sehr zurückgeworfen zu werden. Daher begleitet uns das auch weiterhin noch. Ich muss einfach wirklich immer schauen, dass ich auch weiterhin die Maske trage, weil ich davon abhängig bin, dass es mich nicht erwischt. Besonders in den letzten Wochen habe ich einfach gehofft, dass ich es nicht bekomme. Es ist ja leider doch aktuell so, dass sich viele noch anstecken. Letztlich ist es sozusagen einfach so, dass man immer wieder abwägen muss, ob man diese zusätzlichen Risiken eingeht. Oder, ob man halt dann doch vielleicht lieber zu Hause bleibt oder sich draußen trifft, was jetzt im Sommer natürlich auch sehr einfach ist.

800-Meter-Läuferin Christina Hering: “Mein großes Ziel ist es, ins Finale zu kommen”

Blicken wir noch einmal zurück auf Deinen letzten Wettkampf vor der EM. In der Diamond League hast Du Dich in Top-Form präsentiert und bist persönliche Saisonbestleistung (1:59,51 Minuten) gelaufen. Du hast bereits gesagt, dass Du dort noch einmal Selbstvertrauen tanken konntest. Wie wichtig war das für die EM schlussendlich?

Ich wusste, dass dieser Startplatz in der Diamond League eine große Chance ist. Eben, um auch noch einmal eine schnelle Zeit zu laufen. Dass es jetzt auch wirklich geklappt hat, ist super schön. Jetzt weiß ich einfach, dass alles so ist, wie wir es im Vorhinein geplant hatten. Ich bin auf jeden Fall in der Form, in der ich sein möchte. Es war natürlich schön, das jetzt einfach auch noch einmal auf dem Papier stehen zu haben und, dass nicht nur meine Trainer und ich wissen, dass da eigentlich mehr möglich ist.

Wie schätzt Du Deine Chancen für die EM ein?

Es ist ein großer Wettkampf, es kann viel passieren. Ich war jetzt wirklich auch in wilden Rennen unterwegs – beispielsweise mein Vorlauf bei der WM. Es kann alles passieren, aber ich fühle mich auf jeden Fall für sämtliche Rennverläufe gewappnet. Donnerstag, Freitag und Samstag sind meine Wettkampftage. Es wird von 32 Läuferinnen auf 16 und schließlich auf acht gekürzt. Mein großes Ziel ist es, ins Finale zu kommen. Ich denke, wenn ich da angekommen bin, und es wirklich nur noch acht sind, ist wirklich ganz viel möglich. Und dann will ich auf jeden Fall um die Medaillen mitkämpfen. Aber jetzt muss ich erst einmal dorthin kommen. Das heißt: volle Konzentration und jedes Rennen ist sozusagen erst einmal ein ‚Finale‘.

Interview: Michelle Brey

Foto: Christina Hering privat